Clara erinnert

„Ein ganz normales Pogrom“ – ein Titel, der verstört. Kann ein Pogrom „normal“ sein? Nein! Der Autor, Sven-Felix Kellerhoff, präsentiert auf Einladung von Herrn Leyhe sein Buch.

Das, was sich im rheinhessischen Dorf Guntersblum im November 1938 abspielte, gab es aber leider, leider mehr als tausendfach in Nazi-Deutschland: Ehemals „normale“ Bürger, Deutsche jüdischen Glaubens, wurden gedemütigt, ihre Läden geplündert, ihre Häuser verwüstet, Synagogen in Brand gesteckt. Diese Menschen wurden von „Nachbarn“ zu „Juden“, und sie wurden in Hitler-Deutschland systematisch erst entrechtet und später ermordet. In Guntersblum wurden sie in einem „Schandmarsch“ (so einer der dazu gezwungenen Männer, der den Holocaust glücklicherweise überlebte) durchs Dorf getrieben. Sie wurden nicht nur der Lächerlichkeit preis gegeben. Sie wurden auf ihren Leidensweg mit Stiefeln getreten und nicht nur mit Eisenstücken und Ketten blutig geschlagen. Die Täter wurden nach dem Krieg nur vereinzelt – wenn überhaupt – zu lächerlichen Haftstrafen verurteilt.

Was hat das mit uns heute zu tun? 83 Jahre nach den schrecklichen Geschehnissen, die der Leitende Redakteur Geschichte der Tageszeitung WELT und 30-fache Buchautor, Sven-Felix Kellerhoff, minutiös in diesem typischen Dorf rekonstruiert hat.  Die Antwort ist eindeutig und sie lautet immer gleich: Wehret den Anfängen! „Geschichte wiederholt sich nicht 1:1“, so Kellerhoff in der Aula des Clara-Schumann-Gymnasiums. „Aber lasst es nicht zu, wenn Ihr merkt, dass jemand ausgegrenzt wird, nur weil er irgendwie „anders“ ist und wie man heute sagt „gemobbt“ wird!“ „Niemand verlangt von Euch ein Held zu sein. Aber sagt dann, wenn es noch früh genug und noch die Zeit dazu ist: NEIN!“ Für die sechs durch das kleine Dorf getriebenen Männer ist niemand aufgestanden. Nur zwei von ihnen überlebten, weil sie bald nach den Novemberpogromen dem Rassenwahn der Nazis entkommen konnten und in die USA flüchteten.

Warum ausgerechnet Guntersblum? Diesen Ort muss man sich wahrlich nicht merken, so Kellerhoff. Dieser Ort war in keiner Weise „besonders“, aber viele Akten und Zeugnisse, darunter 7 Fotos, zeugen noch heute von den furchtbaren Ereignissen. Kellerhoff schloss mit sehr einfachen Worten bzw. einem sehr bekannten Spruch, den er an die Schüler richtete: „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem Anderen zu“…

Geschichte ohne erhobenen Zeigefinger, ein Appell an die eigene Betroffenheit und das eigene Gewissen. Aktueller denn je in Zeiten, wo die Nazi-Vergangenheit aus den Reihen einer im Bundestag vertretenen Partei als “Vogelschiss”, das Denkmal für die im Holocaust ermordeten Juden als “Schandmal” bezeichnet wird und montags in Dresden und andernorts gewissenlose Menschen “spazieren gehen”, wie sie es nennen, so Herr Leyhe.